Interview mit #cnetz-Mitglied Ronja Kemmer

Im #cnetz ist eine große Fülle an Experten vertreten, die wir in einer losen Gesprächsfolge zu aktuellen digitalpolitischen Themen zu Wort kommen lassen möchten. Heute sprechen wir mit Ronja Kemmer, seit September 2018 Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Obfrau der Unionsfraktion für die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale“.

 

Philipp Bohn: In der industriellen Wirtschaft können wir in Deutschland auf viele weltweit führende Konzerne und Hidden Champions stolz sein. In der Digitalwirtschaft sorgen zwar Anbieter wie HelloFresh oder TeamViewer für Aufmerksamkeit. Wie können wir noch bessere Rahmenbedingungen für mehr global erfolgreiche digitale Plattformen und Marken aus Deutschland schaffen? Was sind die wesentlichen Stellschrauben aus Sicht einer Digitalpolitikerin?

Ronja Kemmer: Wir haben in Deutschland eine hervorragende Forschungslandschaft mit sehr vielen Talenten. Um dieses Know-how in Deutschland zu erhalten brauchen wir das passende Umfeld und eine Kultur, die Leistungen wertschätzt und der Wirtschaft Freiheit lässt. Zudem müssen wir schneller einen Rahmen für neue Technologien schaffen, in dem sie sich entfalten können. Häufig betonen wir in der gesellschaftlichen Debatte nur die Risiken und vergessen in den Diskussionen darüber die Chancen. Warum sollte sich dann ein Unternehmen bei uns ansiedeln, wenn die Leistungen im Heimatmarkt gar nicht erbracht werden können?

 

Philipp Bohn: Spielen hier Startups eine besondere Rolle? Was erwarten sie von der Politik?

Ronja Kemmer: Aus meinen vielen Gesprächen mit Startup-Unternehmerinnen und Unternehmern weiß ich wo der Schuh drückt. Das eine ist immer die kulturelle Frage, das andere sind die Rahmenbedingungen. Kulturell geht es um unsere gesellschaftliche Einstellung zu Risiko und die Wertschätzung von Unternehmertum. Bei den Rahmenbedingungen sind es die Bürokratie und auch das Geld. Die Hürden für den Gründungsprozess müssen abgebaut werden und die Rahmenbedingungen für die Wachstumsphase verbessert werden. In der Bundesregierung haben wir schon Meilensteine beim Zukunftsfonds erreicht und werden mit staatlichen Garantien und Krediten die Finanzierungsmöglichkeiten für junge Unternehmen deutlich ausweiten.

 

Philipp Bohn: Wie wichtig ist die Gaia-X-Initiative von Peter Altmaier und seines französischen Amtskollegen Bruno Le Maire, also der Schaffung und Orchestrierung eines Cloud- und Innovationsökosystems nach europäischem Verständnis von Datensouveränität und vernetzter Zusammenarbeit?

Ronja Kemmer: Du hast mit Deiner Frage eigentlich schon alles gesagt. Gaia-X ist absolut notwendig für die Datensouveränität in Europa! Indem wir Dienste und Daten in einem offenen und transparenten sowie gleichzeitig groß skalierbaren Netzwerk unter europäischem Recht zusammenbringen, schaffen wir einen absoluten Mehrwert. Mit Gaia-X verankern wir Interoperabilität und Portabilität und können damit den Markt effizienter machen.

 

Philipp Bohn: Du bist auch Obfrau der Unionsfraktion in der Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ (KI) des Deutschen Bundestags. Wie ist es bei der KI um die deutsch-französische Zusammenarbeit bestellt? Siehst du einen Vorsprung des Elysée-Palasts und was ist im Zuge unserer europäischen Ratspräsidentschaft geplant?

Ronja Kemmer: Auch in der Deutsch-Französischen Parlamentarische Versammlung spielen die Innovationsthemen eine wichtige Rolle. Im Vergleich mit den USA oder China ist Deutschland alleine einfach zu klein. Wir brauchen Partner mit denen wir die Vision teilen. Wir wollen die Digitalisierung nicht um Menschen zu überwachen, wie in China, oder aus rein wirtschaftlicher Motivation heraus, wie in den USA. Wir möchten eine Digitalisierung, die dem Menschen nützt und unser Leben verbessert. Daran arbeiten wir mit unseren Europäischen Partnern und dabei insbesondere mit unserem Nachbarn Frankreich. Weniger wichtig sind dabei tatsächliche Standorte. Womit wir schon viel erreichen können ist die digitale Vernetzung von F&E und die Zusammenarbeit ohne nationale Egoismen.

 

Philipp Bohn: Die Corona Warn-App bekommt selbst vom Chaos Computer Club ungewohnt positives Feedback hinsichtlich Sicherheit, Datensouveränität und der Entwicklung als Open Source-Projekt. Insgesamt wurde auf Agilität und Nutzerzentriertheit geachtet. In der Vergangenheit mussten öffentliche IT-Projekte oft viel Kritik einstecken. Wieso konnte es in diesem Fall aus deiner Sicht anders und besser laufen?

Ronja Kemmer: Für den Erfolg der Corona-App ist es sehr wichtig, dass sie von allen Seiten unterstützt wird, damit so viele Bürger wie möglich die App installieren. Das Projekt stand zudem von Anfang an unter großem Erfolgsdruck. Vielleicht haben wir nun mit der App einen positiven Use-case, der auf andere IT-Projekte ausstrahlt. Wir tappen zu häufig in die Komplexitätsfalle bei unseren IT-Projekten und müssen ständig auf Bedenken und Besitzstandwahrung eingehen. Das Umdenken muss hier schneller gehen, als in den letzten Jahren!

 

Philipp Bohn: Auch der #WirVsVirus-Hackathon der Bundesregierung ist sicherlich ein gutes Beispiel neuer Innovationsplattformen im öffentlichen Bereich. Hier haben ja zehntausende Entwickler virtuell ein Wochenende lang an Prototypen innovativer Lösungen für die bessere Bewältigung der Corona-Krise gearbeitet.

Ronja Kemmer: Es war wirklich eine sehr gute Initiative aus der wir viel gelernt haben. Der Staat ist in dieser Phase zusammen mit den Initiatoren zum Accelerator geworden. Den ausgezeichneten Projekten wurden nach Anlaufschwierigkeiten Geld aus dem Haushalt und Know-how im Solution Enabler Programm zur Verfügung gestellt. Der Hackathon kann vielleicht auch als eine moderne Form der Bürgerbeteiligung gesehen werden.

 

Philipp Bohn: Insgesamt ist das Thema digitale Verwaltung seit langem oben auf der Agenda und hat noch mehr an Bedeutung gewonnen. Hast du Beispiele für gelungene Digitalisierung im öffentlichen Bereich und was können andere Länder und Kommunen davon lernen?

Ronja Kemmer: Es ist schon einmal gut, dass die Digitalisierung in dieser Legislaturperiode endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die es braucht. Wir haben nun ein Digitalkabinett innerhalb der Bundesregierung und eine Umsetzungsstrategie mit konkreten Einzelvorhaben. Auch die Ministerien stellen sich digitaler mit neuen Strukturen auf. Als einen Teil des Konjunkturprogramms investieren wir mehr Geld in die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes. Beim beta-Bundesportal sieht man schon einmal, in welche Richtung es mal gehen soll. Auf einen komplett durchdigitalisierten Bereich der Verwaltung treffen wir in der Finanzverwaltung wenn wir unsere Steuererklärung machen.

 

Philipp Bohn: Du setzt dich schon länger für Digitalisierung in der Bildung ein, etwa mit dem Digitalpakt Schule. Wie gut haben wir in dieser Hinsicht die Corona-Krise bislang gemeistert? Wo hat virtuelles Home Schooling funktioniert und wo besteht weiterer Handlungsbedarf?

Ronja Kemmer: Bildung hat verschiedene Stellschrauben für die Digitalisierung. Die zentralen Fragen sind wie wir lernen und was wir lernen. Beim Wie hat die Corona-Pandemie viele Eltern, Schüler und Lehrer ins kalte Wasser geworfen. Dort wo Schulen schon vor Corona digitale Konzepte hatten, konnten diese schnell skaliert werden. Für andere war es der Startschuss digitale Technik mehr in die Didaktik einzubeziehen. Das Geld im Digitalpakt und in den Corona-Sonderprogrammen steht für die Schulen bereit. Es muss jetzt in die Fläche getragen werden.

 

Zur Person:

Ronja Kemmer am 25.07.18 in Berlin im Deutschen Bundestag. / Foto: Tobias Koch (www.tobiaskoch.net)

Ronja Kemmer hat in Deutschland, Schweden und Italien Volkswirtschaftslehre (Economics) studiert und ist seit 2014 Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, im Ausschuss Digitale Agenda sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Frau Kemmer ist seit September 2018 Obfrau der Unionsfraktion für die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Künstliche Intelligenz – Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche Potenziale“.

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