Weinbau 4.0: Digitalisierung zwischen Landwirtschaft und Hochgenuss beim Weingut Diehl

Weinbau 4.0: Digitalisierung zwischen Landwirtschaft und Hochgenuss beim Weingut Diehl

Heute sprechen wir mit dem Stuttgarter Winzer und Cnetz-Mitglied Thomas Diehl vom Weingut Diehl über Digitalisierung in Weinberg, Keller, Marketing und Vertrieb. Ich freue mich, damit zwei meiner besonderen Interessen zu verbinden und mehr über die Digitalisierung dieser Branche zwischen Landwirtschaft und Hochgenuss zu erfahren.

Philipp Bohn: Du hast ein einzigartiges Profil in der traditionsbewussten Weinwelt: Bevor du den elterlichen Betrieb übernommen hast, warst du bei der Startup-Schmiede Rocket Internet der Digitalberatung RCKT in Berlin tätig.

Thomas Diehl: Ich habe damals an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee studiert und wollte aber „die große neue Welt“ entdecken. Meine erste Station war ein Praktikum bei Rocket Internet in Berlin. Ich bin dann auch direkt in dem Team gelandet, das den Börsengang 2014 geplant und umgesetzt hat. Bei Rocket habe ich gelernt, schnell zu entscheiden und dabei das Risiko einzugehen, mit einzelnen Entscheidungen auch mal danebenzuliegen.

Anschließend bin ich zur Rocket-Ausgründung RCKT gewechselt und habe dort mein Netzwerk innerhalb der Startup-Szene ausgebaut. Der RCKT-Gründer, Nils Seger, ist heute auch im Beirat unseres Weinguts.

Philipp Bohn: Also eine ganz andere Welt als die Weinwelt.

Thomas Diehl: Das stimmt. Im Startup lernt man, dass Probleme oft mit einer Kapitalerhöhung gelöst werden können. Das geht im Weinbau nicht, wir müssen viel nachhaltiger wirtschaften und haben viel gebundenes Kapital in Form von Boden, Maschinen und Lagerbeständen.

Philipp Bohn: Die Corona-Krise hat die Digitalisierung auch in der Weinbranche beschleunigt, vor allem im Marketing und Vertrieb. Viele Winzer sind aktiv bei Instagram, veranstalten dort Tastings und teilen Eindrücke ihrer Arbeit in Weinberg und Keller. Fast jeder von uns hat im vergangenen Jahr an mindestens einer virtuellen Weinprobe teilgenommen. Das war für deinen Betrieb sicherlich auch wichtig, oder?

Thomas Diehl: Richtig. Virtuelle Weinproben sind ein eigenes Geschäftsmodell für unser Weingut. Vorher haben wir vielleicht zehn Weinproben pro Jahr gemacht, jetzt sind es mehr als 100. Wir haben inzwischen auch eine eigene Plattform dafür, auf der sich der Kunde Weine, Snacks und Sommeliers zusammenstellen und buchen kann. Den Prozess haben wir digital professionalisiert, etwa indem wir mit dem Projektmanagement-Tool Asana einen entsprechenden Work Flow entwickelt haben.

Philipp Bohn: Was davon wird nach Corona bleiben?

Thomas Diehl: Auf Produktseite sicherlich unsere „Hamster Edition“. Das war eine Idee des Kommunikationsberaters Axel Wallrabenstein, der ebenfalls in unserem Beirat ist. Die Idee war visuell einfach auf dem Etikett umsetzbar und wirksam: Wir hamstern Wein statt Klopapier. Das hat es sogar in eine dpa-Meldung gebracht.

Im Vertrieb sehen wir einen extremen Push für den Online-Shop. Dort wickeln wir inzwischen 75% aller Bestellungen ab. Durch den vermehrten eCommerce sehe ich auch Möglichkeiten, zum Beispiel Subscription und Membership-Modelle einfacher anbieten zu können. Dafür sind wir zur eCommerce-Plattform von Shopify migriert. Damit haben wir mehr Tools, Integrationen mit Social Media und mehr Möglichkeiten fürs digitale Marketing.

Da individuelle Bestellungen stark zugenommen haben, versenden wir jetzt allerdings kleinteiliger, also eine oder wenige Kisten pro Kunde. Das ist unter ökologischen Gesichtspunkten nicht unbedingt nachhaltig.
Daher arbeiten wir zusammen mit Fabian Barthel vom Startup Vytal an nachhaltigen Verpackungen und Pfandsystem. Für die Gastronomie haben sie das mit ihrem Mehrweg-Angebot ja beschleunigt durch die Krise erfolgreich eingeführt. Wenn man sich im Restaurant um die Ecke Essen to-go holt, bekommt man ohne weitere Kosten sein Essen in einer wiederverwendbaren Schüssel, die man dann beim Restaurant wieder abgeben kann.

Philipp Bohn: Auch hinter den Kulissen des Weinguts gibt es Digitalisierungspotenzial. Im Weinberg können Drohnen in der Früherkennung von Schad- und Gefahrstoffen für die Reben eingesetzt werden. Was ist noch möglich?

Thomas Diehl: Ich finde es sehr spannend, so viele Daten wie möglich sowohl im Weinberg und im Weinkeller zu sammeln und zu analysieren. Wir wollen möglichst wenig mit Zusätzen arbeiten, aber dafür ist eine solide Datenlage wichtig.

Auch bei der Bodenanalyse fallen viele Daten an, also Temperatur, Feuchtigkeit, Mineralität und so weiter. Mit einer guten Datengrundlage können wir unsere Mittel, mit denen wir unsere Reben behandeln müssen, sehr individuell mischen. So minimieren wir die Menge an Pflanzenschutzmitteln und schonen unseren Weinberg.

Philipp Bohn: Und später im Weinkeller? Intelligente Edelstahltanks überwachen und steuern den Gärprozess des Weins. Kommt sowas schon zum Einsatz?

Thomas Diehl: Ja, wir haben unsere Tanks mit RFID-Chips ausgestattet, so dass der Fortschritt der Gärung direkt erfasst, in eine Excel-Tabelle übertragen und als Gärkurve angezeigt wird. Diese Daten ergänzen mein Gespür und Intuition als Winzer.

Philipp Bohn: Guter Punkt. Digitalisierung bedeutet auch im Weinbau Automatisierung manueller Prozesse. Will man das als Winzer mit hohem Qualitätsanspruch überhaupt oder spielen Handarbeit und das eigene Gespür weiter die zentralen Rollen?

Thomas Diehl: Gespür und Baugefühl spielen immer die zentrale Rolle. Aber Automatisierung ist ein entscheidender unterschützender Faktor, vor allem auch bei der Auslagerung von Prozessen an Dienstleister.

Philipp Bohn: Digitalisierung erfordert zunächst Investitionen in Wissen, Technologie und Infrastruktur. Lohnt sich das nur für die Großen oder auch für kleinere Familienbetriebe?

Thomas Diehl: Unser Weingut mit seinen 7 Hektar Anbaufläche ist wohl fast überdigitalisiert. Vor Corona ist das etwa im Vertrieb kaum zum Tragen gekommen, aber dann hat sich das mit den vielen Online-Bestellungen bezahlt gemacht. Natürlich muss man sich als Winzer immer fragen: Was kann ich und was macht Sinn? Ein komplett smarter digitaler Weinkeller ist sicherlich nur möglich, wenn Geld keine Rolle spielt. Aber so weit müssen wir nicht gehen.

Philipp Bohn: Digitalisierung bedeutet auch ein agiles Mindset, also das flexible Anpassen an sich ständig ändernde Bedingungen. Das gab‘s im Weinbau mit seiner Abhängigkeit von den Launen der Natur schon immer. Gleichzeitig gibt es wohl wenige Branchen, die in so großen, generationsübergreifenden Zusammenhängen denken, die der Weinbau.

Thomas Diehl: Richtig und dafür müssen wir wieder mehr Wertschätzung schaffen. Ich möchte die Leute mit in den Weinberg nehmen und ihnen zeigen, wo das alles herkommt. Wir wollen Traditionen wahren, heutige Herausforderungen annehmen und nach morgen denken. Der Klimawandel etwa ist ein großes Thema für den Weinbau. Gerade bei Zukunftsfragen ist unser Beirat Gold wert: Als Winzer kann ich gar nicht alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklungen im Blick haben und mir Gedanken machen, was sie für meinen Betrieb bedeuten.

Erklärung zum Beirat von Thomas Diehl: „Im Zuge meiner Nachfolge, habe ich mich entschieden das Weingut als Zentrum für mein unternehmerisches Handeln zu sehen und unsere Tätigkeiten zu diversifizieren. Um dies tun zu können, habe ich die Menschen, die mich auf meinem bisherigen Lebensweg begleitet haben, in einem Beirat versammelt. Dieser ist Impuls- und Diskussionsplattform.“

advisory board diehl

Philipp Bohn: In der digitalen Arbeitswelt hat sich das Coworking immer mehr etabliert, also das gemeinsame, flexible, meist kurzfristig ausgelegte Arbeiten von Freiberuflern, Startups und auch Angestellten großer Unternehmen in offenen Büroräumen. Das Pfälzer Weingut Bürklin-Wolf hat kürzlich mit dem Betreiber 1000 Satellites einen Coworking-Space eingerichtet. Siehst du da mehr Potenzial im ländlichen Raum?

Thomas Diehl: Ja, mit Covid hat sich ja auch die digitale Infrastruktur und Gewohnheiten der Konsumenten verbessert, wie die Nachfrage nach unseren virtuellen Weinproben zeigen. Ich kann mir Tagungen und auch temporäres Arbeiten auf dem Weingut gut vorstellen, auch in Form von „Workations“ und Remote Work-Konzepten, die jetzt ja schon fast normal geworden sind.

Philipp Bohn: Vielen Dank Thomas. Zum Abschluss: Was ist für dich der beste Wein?

Thomas Diehl: Meine Eltern sagen immer, der beste Wein ist der verkaufte Wein. Mein idealer Wein ist der, der möglichst vielen Menschen einen schönen Genussmoment bereitet. Ganz analog.

 

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