Interview mit Dr. Stefan Hennewig, Bundesgeschäftsführer der CDU und cnetz-Mitglied seit der ersten Stunde (2012)
Am 15. und 16. Januar 2021 hat die CDU als erste große deutsche Partei ihren Bundesparteitag vollständig virtuell und digital durchgeführt. Im Ergebnis haben die Delegierten den Nordrhein-Westfälischen Ministerpräsidenten und cnetz-Mitglied Armin Laschet zum Bundesvorsitzenden gewählt. Aus dem Anlass spreche ich mit Dr. Stefan Hennewig, seit 2019 Bundesgeschäftsführer der CDU. Stefan Hennewig war mit Generalsekretär Paul Ziemiak für Organisation und Durchführung des Parteitags verantwortlich.
Philipp Bohn: Den CDU-Parteitag habe ich im ICE mit sehr stabiler Verbindung als Livestream mit Echtzeitdiskussion in Chatgruppen und Twitter verfolgt. Die meisten Teilnehmer waren zuhause. Die Bereitstellung einer leistungsfähigen und sicheren Infrastruktur sowie die Organisation von Wahlen und sonstigen Abläufen waren sicherlich große Herausforderungen. Bist du insgesamt zufrieden?
Stefan Hennewig: Ja, wir sind grundsätzlich zufrieden, vor allem wenn man bedenkt, dass wir nur wenige Wochen für die Umsetzung hatten. Natürlich gibt es bei jeder Premiere technische Risiken. Kleinigkeiten sind auch nicht optimal gelaufen, wie etwa bei einigen Wortmeldungen der Teilnehmer. Aber die Abstimmungen und Wahlen liefen technisch fehlerfrei.
Philipp Bohn: Wie sieht der Technologie-Stack für einen so großen und wichtigen digitalen Parteitag aus? Habt ihr Best Practices aus anderen Ländern nutzen können? Über die eVoting-Plattform des Anbieters Polyas haben wir schon gelesen.
Stefan Hennewig: Es gab wenig Präzedenzfälle. Wir haben uns die Conventions der amerikanischen Demokraten und Republikaner und einige weitere Parteitage angeschaut und auch die Parlamentswahlen in Estland aber das war schlussendlich zu weit von unseren Vorhaben entfernt. Technologisch haben wir am Ende drei Systeme parallel eingesetzt: Unserer Webseite cdu.de für den Stream, den digitalen Plenarsaal für die Abstimmungen und Wortmeldungen der Delegierten sowie Polyas als Wahlsystem. Alles war auf verschiedenen Servern erreichbar und auch die Leitungsinfrastruktur aus dem Studio heraus hatten wir redundant ausgelegt. Hier wären also noch Backups für die Wahlen möglich gewesen, die brauchten wir aber zum Glück nicht.
Philipp Bohn: Warum mussten die Delegierten ihren Stimmzettel trotzdem per Briefpost einsenden?
Stefan Hennewig: Das ergibt sich aus Regelungen im Covid-19-Gesetz. Das Gesetz ermöglicht zwar eine sogenannte „digitale Vorabstimmung“, legt gleichzeitig aber fest, dass eine rechtlich verbindliche Schlussabstimmung nur per Urne oder Briefwahl durchgeführt werden darf. Also mussten die Sieger der digitalen Wahlgänge den Delegierten per Briefwahl vorgelegt werden. Technisch und organisatorisch war unser Anspruch aber immer, dass die Wahlen auch komplett digital funktionieren, d.h. dass sie auch die Wahlgrundsätze aus Art. 21 des Grundgesetzes erfüllen.
Philipp Bohn: Eure Spezialisten und Systeme mussten laut Generalsekretär Paul Ziemiak auch ein hohes Volumen an Cyberangriffen abwenden. Hat euch der Umfang überrascht oder eure Erwartungen bestätigt?
Stefan Hennewig: Ein Parteitags-Hack wäre sicherlich eine Trophäe in der internationalen Hacker-Szene gewesen. Tatsächlich hab es Freitag und Samstag gerade zu den Wahlgängen massive DDoS-Angriffswellen. Unsere Webseite cdu.de war als „Opfersystem“ teilweise schwer erreichbar, aber die drei Systeme waren ja voneinander getrennt, so dass der Ablauf des Parteitages selbst nicht gefährdet war.
Philipp Bohn: Werden zukünftige Parteitage und Konferenzen mehr digitale Teilnahme ermöglichen oder bleibt das eine Besonderheit der Corona-Zeit?
Stefan Hennewig: Unsere Parteiarbeit läuft schon seit einem Jahr wesentlich digitaler, etwa bei Schulungen, Fundraising, Themen-Kickoffs oder in der alltäglichen Arbeit in Kreis- und Ortsverbänden. Vor der Corona-Krise hätten wir uns das nie getraut, denn es braucht eine entsprechende technische Ausstattung und Erfahrung. Virtuelle Events sind organisatorisch teilweise aufwändiger, dafür vor allem auf Bundesebene logistisch gerade für die Teilnehmer einfacher. Vor allem hybride Formate werden daher auch nach Corona bleiben und die digitale Parteiarbeit wird allgemein ein stärkerer Faktor sein.
Philipp Bohn: Einem virtuellen Parteitag fehlt die persönliche Nähe, der unmoderierte Austausch unter Teilnehmern und Gästen. Wortmeldungen und Fragen an die Kandidaten auf der großen Bühne hielten sich in Grenzen. Zufällig ging an dem Wochenende auch die soziale Audiochat-Plattform Clubhouse viral – können solche Plattformen und Formate virtuell mehr Nähe schaffen und Kommunikationshürden senken?
Stefan Hennewig: Im Nachhinein habe ich von einigen Delegierten gehört, dass auch dieser Aspekt „gar nicht so schlimm“ war. Es gab parallele WhatsApp-Gruppen und sogar Zoom-Konferenzen von Delegierten, die parallel auf dem second oder third Screen stattfanden. Grundsätzlich können wir solche virtuellen Räume auch innerhalb eines digitalen Plenarsaals schaffen. Der vorhandene „Café Konrad“-Chatraum war da nur ein erster bescheidener Anfang, der aber sehr rege von unseren Delegierten genutzt wurde.
Philipp Bohn: Als Greenpeace-Aktivisten Ende 2019 im Rahmen einer Aktion das „C“ am Konrad-Adenauer-Haus entwendet haben, hast du mit deinem Team in den sozialen Medien eine gute, witzige und souveräne Figur gemacht. Habt ihr aus der Reaktion auf das bekannte Zerstörungsvideo also gelernt oder war schon damals das Bild der CDU als analoge Partei nicht ganz richtig?
Stefan Hennewig: Wir haben im Bereich Social Media und insgesamt der Digitalisierung unserer Parteiarbeit in den vergangenen Jahren viel „Grundlagenarbeit“ geleistet, sind aber hier und da noch mit angezogener Handbremse gefahren. In den letzten Monaten konnten wir dann auspacken, was im Hintergrund schon alles da war. Unsere Kommunikation und Parteiarbeit sind jetzt voll digital und wir freuen uns im Adenauer-Haus auf den anstehenden Wahlkampf.
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BIO
Dr. Stefan Hennewig ist seit Juli 2019 Bundesgeschäftsführer der CDU Deutschlands. Von 2005 bis 2006 und von 2015 bis 2018 leitete er den Bereich Kampagne und Marketing und betreute die Bundestagswahlkämpfe 2005 und 2017. Von 2006 bis 2015 sowie zwischen 2018 und 2019 war er verantwortlich für den Bereich Zentrale Aufgaben. Dr. Stefan Hennewig studierte Politikwissenschaften in Bonn und Bradford. Er promovierte über die Nutzung des Internet und seine Regulierung durch politische Akteure in Deutschland und den USA