von Axel Wallrabenstein und Adrian Rosenthal

Auch wenn man in Zeiten von Brexit und Donald Trump mit Prognosen mittlerweile vorsichtig geworden ist: Eine Vorhersage wollen wir wagen, da sie so sicher wie der nächste, wütende Tweet von Donald Trump eintreffen wird. Der deutsche Plakatwald wird auch im nächsten Bundestagswahlkampf in voller Pracht und Farbenvielfalt erblühen.

DEM DEUTSCHEN PLAKATWALD GEHT ES GUT

Denn Parteien und Wahlkämpfer werden auch 2017 einen großen Teil ihres Budgets, ihrer Zeit und ihrer (kreativen) Energie darauf verwenden, Bilder und Slogans für Plakate zu erdenken, zu diskutieren, abzustimmen – und diese dann auf- und später wieder abzuhängen. Eine Funktion erfüllen Plakate  auf jeden Fall: Sie erinnern daran, dass bald eine Wahl ist. Ansonsten: austauschbare Slogans und Bilder. Und auch wenn der Tagesspiegel jüngst „Wahlplakate verlieren an Bedeutung“ titelte: Der Plakatwald wird kommen.

VORBILD USA? VORBILD OBAMA!

Und das, obwohl wir den stark digital geprägten Wahlkampf auf der anderen Seite des Atlantiks beobachten aus Deutschland schon lange genau beobachten. Parteistrategen und Wahlkampfberater pilgern seit Jahren in die USA, um sich das dortige politische Campaigning genau anzuschauen. Was sie nicht finden? Plakate. Höchstens in Suburbia, denn einige Anhänger stellen sich gerne ein Plakat in den Vorgarten – das sie natürlich vorher in den Online-Shops der Kandidaten gekauft haben (und dabei gleich noch, wie praktisch, ein paar Daten mit den Kampagnenorganisationen geteilt haben).

Als Barack Obama sich 2008 zuerst in den parteiinternen Vorwahlen gegen Hillary Clinton und anschließend im Kampf um das Weiße Haus gegen John McCain durchsetzte, sprachen viel davon, dass Obama seinen Sieg auch Facebook und anderen sozialen Netzwerken zu verdanken habe.

Denn wie schon Roosevelt (Radio) und Kennedy (TV) setzte Team auf ein neues Medium ,um bestimmte Wählergruppen zu erreichen und zu mobilisieren. Obamas Kampagne war dabei von Anfang an ein hybrides Meisterwerk: seine Strategen verknüpften mit mybarackobama.com als zentralem Organisationsnetzwerk effektiv online und offline. Digital mobilisierte Unterstützer wurden zu lokalen Graswurzel-Aktivisten, die an Millionen Haustüren klopften.

Bereits mit seinem Wahlsieg begannen die Vorbereitungen für den nächsten Wahlkampf im Jahr 2012. Dieser Zustand des permanenten Wahlkampfs erschuf eine sich selber fütternde Datenmaschine im Stile eine Perpeteum Mobile. Jeder Like wurde zum neuen Datensatz, verfeinerte die Wählerprofile – und löste eine neue Aktion im Stile des Microtargeting aus: eine Spenden-Email, eine Facebook-Werbeanzeige oder später Hausbesuche der Freiwilligenarmee von Obama.  Zudem nutzte das Team Obama auf laufender Basis einen Predictive Modelling-Ansatz, in dem die Wahl immer wieder durchgespielt wurde, um agil zu entscheiden, in welchen Bundesstaaten und Wahlbezirken Geld und Ressourcen benötigt werden.

WENIG NEUES IN 2016

Und 2016? Dieses Jahr gab es eigentlich wenig Neues aus den USA mit Blick auf digitale Wahlkampfstrategien zu berichten. Eher machte sich mit Blick auf den Einfluss von Big Data sogar eine gewisse Ernüchterung breit. Denn obwohl Trump zu Beginn seiner Kampagne hier kaum professionelle Hilfe hatte, setzte er sich gegen Konkurrenten durch, die alle auf scheinbar erfahrene Digitalstrategen zurückgreifen konnten. Trump holte sich erst spät mit der Firma Cambridge Analytica Profis an Bord, um zielgruppengerechte, datenbasierte Botschaften zu entwickeln. Eine Firma allerdings, die vorher im Dienste seines Rivalen Ted Cruz stand – und daran scheiterte, Cruz mit Hilfe von Daten zum Sieg zu verhelfen.

Schlagzeilen machte hierzulande auch der Einsatz von Social Bots. Zwei separate Studien von Forscherteams der Oxford University sowie der University of South Carolina untersuchten, wie diese Bots Meinungsbilder in sozialen Medien massiv verzerrten. Hunderttausende Bots mischten demnach mit Millionen von Tweets den Wahlkampf auf, wobei die Pro-Trump-Bots denen von Clinton im Verhältnis von circa 4:1 überlegen waren und bis zu einem Drittel aller Pro-Trump-Tweets verschickten (insgesamt stammte bis zu 20 Prozent des gesamten Twitter-Traffics zur US-Wahl von Bots).

Nach der Wahl wurde ebenso heftig über den Einfluss sogenannter Fake News auf den Wahlkampf diskutiert. Damit sind bewusst falsche, veraltete oder völlig den Kontext ignorierende Nachrichten gemeint, die oftmals über spezielle Facebook-Seiten geteilt werden. Das Portal Buzzfeed zeigte kurz nach der Wahl, dass diese Nachrichten grade in den letzten Wochen vor der Wahl deutlich öfter auf Facebook geteilt wurden, als Artikel von seriösen Medien wie der New York Times. Und wenn eine erwiesenermaßen falsche News mit dem Titel „Papst unterstützt Trump“ mehr als eine Million Mal geteilt wird, dann ist das nicht nur ein Filterblasen-Problem, sondern auch für die demokratische Meinungsbildung.

WAS KÖNNEN DEUTSCHE WAHLKÄMPFER TROTZDEM AUS DEN USA LERNEN?

Bots hin, Zweifel an Big Data her: natürlich gibt es trotzdem Dinge, die man sich aus den USA abgucken kann.

Daten: Einen datengetriebenen Wahlkampf mit dezidiertem Microtargeting wird es in Deutschland aufgrund der gesetzlichen Regelungen nicht geben. Und das ist gut so. Allerdings kann sicherlich mehr getan werden, Daten von Anhängern oder interessierten Bürgern einzusammeln, die diese freiwillig hergeben – um so Push-Effekte für Informationen auszunutzen. Auf den Seiten der Bundesparteien finden sich zwar mittlerweile Aufrufe zum Newsletter-Abo oder auch Online-Fundraising. Aber das hört auf Landesebene und dann auf den Webseiten einzelner Kandidaten meist wieder auf. Ebenso werden vorhandene Targeting-Möglichkeiten, zum Beispiel auf Facebook oder Google, oftmals nicht vollends ausgenutzt. Natürlich muss man hier dann auch entsprechend einen Teil des Wahlkampfbudgets einsetzen, der aber zu oft noch in das Drucken von Wahlplakaten fließt. Ebenso kann sicher das sogenannte Social Listening, also die Analyse von Konversationen im Social Web, als Ergänzung zu telefonischen Meinungsumfragen vorangetrieben werden, um Meinungsbilder zu ermitteln. Denn grade die klassischen Meinungsumfragen lagen – bei Trump oder Brexit – daneben.

Reichweiten ausbauen: Mittlerweile sind auch hier alle Parteien und fast alle Politiker in sozialen Netzwerken aktiv. Donald Trump hat in den USA dank der großen Reichweite seiner Social-Media-Kanäle den Diskurs bestimmt und seine Anhänger mobilisiert. Auf Twitter folgen ihm mehr als 16 Millionen Leute, fast ebenso viele auf Facebook. Clinton hat ähnliche Reichweiten. Zum Vergleich: Angela Merkel kommt bei Instagram und Facebook zusammen auf knapp 2.4 Millionen Follower. Und liegt damit im Feld der deutschen Politik einsam an der Spitze. Sigmar Gabriel kommt nicht einmal auf 200.000 Fans/Follower. Der YouTuber LeFloid, der vor einiger Zeit Angela Merkel interviewte, hat alleine auf YouTube 15 Mal mehr Fans. Natürlich sind diese Zahlen ein Indikator für die Beliebtheit – und grade junge Zielgruppen lassen sich oftmals nur noch über soziale Netzwerke erreichen. Hier kann einfach mehr in den Aufbau der Kanäle investiert werden.

Content: Obama und Clinton, Trump, und ja, sogar Sarah Palin – sie alle haben die Macht der Bilder erkannt, die grade in sozialen Netzwerken wichtig ist. Denn guter visueller Content fällt auf, spricht an, wird geteilt. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber: in der deutschen Politik herrscht ein Mangel an überzeugendem visuellen Content. Bei Ansicht der YouTube-Kanäle der Parteien nur ein Muster auf: Politiker X oder Politikerin Y stehen vor einer Kamera und reden in diese rein. Das interessiert dann in den meisten Fällen nur ein paar Hundert Nutzer. Hier zählt: weniger ist oft mehr.

Multiplikatoren mobilisieren: Im US-Wahlkampf riefen reichweitenstarke Multiplikatoren – Musiker, Blogger, Sportler – über das Social Web zur Wahl ihres Favoriten auf. Ein Großteil dieser Influencer, die oftmals alleine eine zweistellige Anzahl von grade jungen Wählern erreichen, unterstütze hier Hillary Clinton – und sie gewann (wie auch schon Obama) deutlich bei den Jungwählern, bei denen sich mehr als ein Drittel ausschließlich über soziale Medien politisch informieren. Auch in Deutschland gibt es diese reichweitenstarken Influencer, doch Politik im Parteikontext spielt hier bisher keine Rolle. Das hier durchaus Potential liegt, zeigt aber zum Beispiel die Aktion #YouGeHa. Mit dieser Aktion positionierte sich eine Gruppe bekannter gegen Fremdenhass und Pegida – und erreichte mit den Videos Millionen Nutzer.

Mobile: Im US-Wahlkampf galt 2016 mit Blick auf den Online-Wahlkampf das Motto „Mobile First!“. Denn Facebook, Instagram oder Twitter wurden dort vornehmlich mobil genutzt. Das bedeutet: Der Content muss für Smartphones optimiert werden. Und: Es muss schnelle Kommunikation in quasi Echtzeit stattfinden, damit man gehört und gefunden wird. Grade hier liegt auch in Deutschland viel ungenutztes Potential. Whatsapp zum Beispiel wird in Deutschland von mehr Nutzern als Facebook genutzt. Und es gibt auch schon die ersten Bundestagsabgeordneten, die Bürgersprechstunden oder Newsletter über den Messenger anbieten.

Unserer Wünsche  für die #BTW17 fassen wir also wie folgt zusammen: ein spannender digitaler Wahlkampf mit gutem Content, ohne Chatbots und Fake News. Und deutlich kleinerem Plakatwald.

 

Adrian Rosenthal ist Head of Digital & Social Media der Kommunikationsagentur MSLGroup Germany – und beschäftigt sich auf amerikawaehlt.de seit fast 10 Jahren mit Online-Wahlkämpfen in den USA.

Axel Wallrabenstein ist Chairman von MSLGroup Germany mit den Beratungsschwerpunkten Public Affairs, Politische Kommunikation und Krisenkommunikation. Zuvor war Wallrabenstein Pressesprecher in der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin und Pressesprecher im Innenministerium des Freistaates Sachsen.

Nach oben scrollen