Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach am 23. November 2016 im Deutschen Bundestag über Fake News und wie sie einen Wahlkampf vergiften können. Die Digitalisierung sei Teil unserer Realität und die Veränderungen im Zusammenhang mit ebendieser dürften wir nicht unterschätzen, so die Bundeskanzlerin. „Wir haben Regelungen für alles, was Pressefreiheit ausmacht – die Sorgfaltspflicht der Journalisten und vieles andere mehr. Und wir haben heute viele, die Medien wahrnehmen, die auf ganz anderen Grundlagen basieren“, so Merkel. Mit Phänomenen, wie Fake News, Bots oder Trollen müsse man lernen, sich auseinanderzusetzen.
Dazu #cnetz-Sprecher Prof. Jörg Müller-Lietzkow:
Die Algorithmen, die für die Nutzer entscheiden, welche Beiträge, Meldungen und Kommentare sie zu sehen bekommen und welche nicht, erschweren eine umfassende Meinungsbildung zunehmend. Soziale Netzwerke, wie z. B. Facebook, YouTube oder Twitter, sind in den letzten Jahren zu zentralen Informationsportalen geworden. Vormals gar nicht intendiert, haben auch die Unternehmensspitzen dieser Plattformen diesen Anspruch inzwischen auch verbalisiert. Damit einhergehend steht aber nach einem kontinentaleuropäischen Verständnis eine Verpflichtung zu einer Qualitätssicherung – es sollen nicht nur „Snippets“ Dritter positioniert werden. Facebook zum Beispiel ist das meist genutzte soziale Netzwerk Deutschlands und für viele, vor allem jüngere Menschen, inzwischen die wichtigste Informationsquelle auch mit nicht journalistisch aufbereiteten Inhalten. Vor diesem Hintergrund kann man die Verantwortung und Qualitätsverpflichtung von Facebook, aber auch anderer sozialer Netzwerke, nicht genügend unterstreichen.
Algorithmen sind aber – trotz hoher semantischer Erkennungstiefe – nicht in der Lage zu differenzieren und eine entsprechende Qualitätssicherung zu liefern. Die Folge davon ist durchaus ein ungefilterter Nachrichtendurchlass, der auch Manipulation bzw. Fehlinformation zulässt. Aufgrund der Tatsache, dass die Algorithmen als Unternehmensgeheimnis ähnlich dem Coca-Cola-Rezept gehandhabt werden, steigert dies nochmals die Verantwortung für Anbieter von sozialen Netzwerken und ähnlichen Plattformen. Eine solche Erwartungshaltung wird ja auch zu recht entsprechend an Redaktionen von Informationsdiensten, Zeitungen oder anderen journalistischen Medien gestellt. Verdient also ein soziales Netzwerk mit einem Informationsfluss Geld durch u. a. den Werbemarkt, besteht unserer Ansicht nach entsprechend eine Verpflichtung analog zu den journalistischen Medien.
Dieser Verpflichtung kommen die Anbieter derzeit nicht nach und verweisen zumeist auf das schwache Argument, aufgrund der Masse dazu nicht in der Lage zu sein. Welche Folgen im Sinne eines Agenda Setting dies haben kann und welche manipulative bzw. irreleitende Wirkung auf breite Bevölkerungsschichten ausgelöst werden können, werden nicht nur am US-Wahlkampf offenkundig: Die zunehmenden Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa basieren auf der Möglichkeit der ungefilterten Verbreitung von Falschinformationen – nicht selten durch anonyme Distributoren. Das Dilemma aufzulösen ist daher (auch) Aufgabe von Anbietern, wie Facebook, Twitter oder Google. Dazu bestehen mehrere Optionen. Entweder man legt die entsprechenden Algorithmen offen. Dies würde es zumindest in gewissen Rahmen erlauben, die Verbreitung zu verstehen und einzuordnen. Allerdings müsste sich z. B. Facebook dann auch aktiv an einer entsprechenden redaktionellen Arbeit sowohl finanziell als auch strukturell beteiligen. Oder die US-amerikanischen Unternehmen leisten eigenständig redaktionelle, prüfende Arbeit und kennzeichnen entsprechende Beiträge.
Auf keinen Fall kann es sein, dass soziale Netzwerke so ungefiltert und unkontrolliert als Nachrichten-Aggregatoren agieren und dann die Verantwortung von sich weisen. Auch wenn das #cnetz sich weiterhin gegen ein Leistungsschutzrecht ausspricht, entbindet dies nicht von einer Qualitätsverpflichtung der Anbieter. Somit stehen sie an einem Scheideweg. Dies hat nicht erst die Wahl des neuen US-amerikanischen Präsidenten, dessen Kampagne zumindest massiv entsprechende soziale Medien genutzt hat, gezeigt, welche Konsequenzen, ohne redaktionelle Begleitung folgen können.
Um es klar zu formulieren: Wir fordern keine Zensur, denn Artikel 5 unseres Grundgesetzes gilt auch für soziale Medien. Das impliziert aber nicht, dass jeder Unsinn ohne Kennzeichnung verbreitet werden kann und darf. Wir fordern Facebook und andere Anbieter sozialer Medien auf, sofort ihrer gesellschaftlichen Verantwortung deutlich besser und nachhaltiger im oben beschriebenen Sinn nachzukommen. Auch im Hinblick auf das kommende zentrale Wahljahr in Deutschland. Meinungsfreiheit entbindet auch im Internet nicht von Verantwortung – erst recht nicht für Plattformen und soziale Medien.