Der vorgelegte Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist ein großer Fortschritt für die Netzpolitik im Bundestag. Obwohl im Vorfeld der Verhandlungen unklar war, ob es überhaupt als eigenständiges Themenfeld gewürdigt würde, war die Entscheidung für die Unterarbeitsgruppe Digitale Agenda ein gutes Signal. Als cnetz wollen wir die Ergebnisse des Koalitionsvertrages aus der Sicht unseres gemeinsamen Forderungspapiers mit dem CSUnet zusammenfassen.
1. Der Staatsminister für digitale Gesellschaft war zwar Bestandteil des Textvorschlags der Unterarbeitsgruppe, im vorgelegten Koalitionsvertrag findet er sich leider nicht mehr wieder. Wir setzen uns deswegen weiterhin für eine Stärkung des Themas in der Bundesregierung durch konkrete personelle Besetzung und strukturelle Maßnahmen ein. Ein Staatsminister, der als koordinierende Spange dient. In Sachen Ressortverteilung ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.
2. Für den Ausschuss für Internet und Digitale Gesellschaft gilt ebendies. Weitere vier Jahre im Rang eines Unterausschusses werden der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Relevanz des Themas nicht gerecht!
3. Das Digitale Weißbuch für Deutschland war als Forderung noch im Regierungsprogramm von CDU und CSU enthalten, jedoch blieb die Bestandsaufnahme und systematische Dokumentation der Digitalisierung auf der Strecke. Aus Sicht der Netzpolitik sind aber verschiedene Ansätze im Koalitionsvertrag verankert: eine Digitalisierungsstrategie gemeinsam Ländern und Kommunen, sowie eine Breitband-, Hightech- und Open-Access-Strategie. Darüber hinaus sieht das cnetz weiterhin die Notwendigkeit einer ressortübergreifenden Bestandsaufnahme und Entwicklung einer Gesamtstrategie.
4. Das cnetz begrüßt die deutliche Verankerung des Themas Startup-Förderung im Koalitionsvertrag. Nach den deutlichen Aussagen im Regierungsprogramm zum neuen Mittelstand, ist es das Ziel des Koalitionsvertrags Deutschland zum Digitalen Wachstumsland Nr. 1 in Europa zu machen. Hervorzuheben sind als Ziele die Einbeziehung einer One-Stop-Agency zur Unterstützung schnellerer Unternehmensgründungen sowie die Standardisierung fairer Kammerverträge für junge Unternehmensgründer. Auch Verbesserungen für die Gründungs- und Wachstumsfinanzierung sind laut Koalitionsvertrag vorgesehen.
5. Der Koalitionsvertrag legt die Voraussetzungen für digitales Wirtschaftswachstum. Das Thema Industrie 4.0 ist die große Herausforderung für die Digitalisierung der klassischen Industrie, in der Deutschland international stark aufgestellt ist: Um die Technologieführerschaft im Maschinenbau zu erhalten, wollen wir das Feld Industrie 4.0 aktiv besetzen. (S. 19) Mit dem Thema Digitale Bildung und den Ausführungen zur IT-Sicherheit sehen wir unsere Forderungen erfüllt, bei der konkreten Ausgestaltung der Ziele wird sich das cnetz deutlich in die Diskussion einbringen. Besonders wichtig ist auch, dass Verbesserungen für die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland in Aussicht gestellt werden: Wir werden die bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung und Integration in den Arbeitsmarkt (insbesondere die Blaue Karte EU einschließlich der Änderungen im Aufenthaltsgesetz, die Beschäftigungsverordnung und das Gesetz zur verbesserten Anerkennung von im Ausland erworbenen Berufsabschlüssen) innerhalb der Wahlperiode auf ihre Wirksamkeit überprüfen und daraus gegebenenfalls Konsequenzen ziehen. (S. 38)
6. Für den Breitband per Funk und damit einhergehend einen technologieoffenen Ausbau sendet der Koalitionsvertrag deutliche Signale: „Dazu gehört auch eine bedarfsgerechte Bereitstellung von Funkfrequenzen für drahtlose Kommunikationsnetzwerke in allen Teilen Deutschlands. Die durch den Einsatz DVB-T2 künftig frei werdenden Frequenzen wollen wir im Einvernehmen mit den Bundesländern vorrangig für die Breitbandversorgung im ländlichen Raum bereitstellen.“ (S. 48) Die Tür zu einer Digitalen Dividende II steht offen! Für den weiteren Breitbandausbau bleibt das Ziel einer flächendeckenden Grundversorgung mit 50 Mbit/s bis 2018. Die Bundesregierung wird sich daran messen lassen. Weitergehende Aussagen des Koalitionsvertrages deuten wir als Verbesserung des Ausbaus im ländlichen Raum:
„Um mehr Investitionssicherheit für Netzbetreiber im ländlichen Raum zu schaffen werden wir die rechtlichen Rahmenbedingungen für längerfristige Verträge der Netzbetreiber mit den Netznutzern zu Ausbau und Finanzierung der Breitbandinfrastruktur prüfen und gegebenenfalls Vertragslaufzeiten von 3 bis 4 Jahren im ländlichen Raum ermöglichen. […] Wir setzen uns im Beihilfebereich bei der EU-Kommission für eine NGA-Rahmenregelung für Deutschland ein, die die Vectoring-Technologie einbezieht und es ermöglicht, den Breitbandausbau im ländlichen Raum durch ein unbürokratisches technologieneutrales und wettbewerbsfreundliches Förderverfahren voranzubringen.“ (S. 48)
In den Städten sollen außerdem kostenlose WLAN-Angebote geschaffen werden. Auch dieses Ziel begrüßen wir.
7. Das Ziel des digitalen Regierens und der Bürgerbeteiligung ist eine Aufgabe für mehr als vier Jahre. Der vorliegende Koalitionsvertrag setzt aber Meilensteine:
„Parlament, Regierung und Verwaltung werden die Möglichkeiten der Digitalisierung intensiv nutzen und die interaktive Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft auf barrierefreien Websites ausbauen. Wir wollen die Potenziale der Digitalisierung zur Stärkung der Demokratie nutzen. Wir wollen die Informationen über politische Entscheidungen quantitativ und qualitativ verbessern und die Beteiligungsmöglichkeiten für die Menschen an der politischen Willensbildung ausbauen.“ (S. 151)
„Die digitale Berichterstattung über den Bundestag und seine Sitzungen sowie über öffentliche Ausschusssitzungen und Anhörungen (z. B. in Streams) wollen wir ausbauen. So bald wie möglich werden wir Bekanntmachungen wie beispielsweise Drucksachen und Protokolle in Open Data tauglichen Formaten unter freien Lizenzbedingungen bereitstellen.“ (S.152)
„Wir wollen ein bürgerfreundliches „digitales Deutschland“. Ein Programm „Digitale Verwaltung 2020“ für verbindliche Standards zur flächendeckenden Digitalisierung der Verwaltung soll dazu auf den Weg gebracht werden. Bei den Beschaffungen des Bundes werden wir die Prozesse standardisieren und nach Möglichkeit digitalisieren. Durch E-Government ergeben sich umfassende Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft, die die Erledigung von Formalia wie Behördengängen wesentlich erleichtern können.“ (S. 152)
Wir begrüßen diese weitgehenden Formulierungen des Koalitionsvertrages und erkennen einen Sinneswandel bei den politisch Verantwortlichen an. Die Vereinfachung von Behördengängen durch die Digitalisierung ist eine messbarer Bürokratieabbau für Verwaltung, Bürgerinnen und Bürgern.
8. Die in Aussicht gestellte Reform des Urheberrechts begrüßen wir. Ein Urheberrecht, welches Erfordernissen und Herausforderungen des digitalen Zeitalters begegnet, ist dringend notwendig. Erfreulich ist insbesondere, dass die Koalition das Problem der Schlechterstellung digitaler Medien bei der Privatnutzung erkannt hat und nun Möglichkeiten für faire Nutzungsmöglichkeiten gefunden werden sollen. Der Koalitionsvertrag umfasst auch deutliche Verbesserungen für die digitale Lehrmittelfreiheit. Das Ziel eines bildungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts wird ausdrücklich formuliert, sodass wir hier schnell Erleichterungen für die Schulen und Hochschulen erwarten: „Die digitale Lehrmittelfreiheit muss gemeinsam mit den Ländern gestärkt werden. Grundlage hierfür ist ein bildungs- und forschungsfreundliches Urheberrecht und eine umfassende Open-Access-Politik. Schulbücher und Lehrmaterial auch an Hochschulen sollen, soweit möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung freier Lizenzen und Formate ausgebaut werden.“ (S. 30)
9. Das Thema Jugendmedienschutz wird im Koalitionsvertrag in enger Verbindung mit Medienkompetenz behandelt. Das ist ein wichtiger Schritt, denn der Schutz von Kindern und Jugendlichen ist zuerst Aufgabe der Eltern. Der Koalitionsvertrag stellt zum Beispiel in Aussicht, dass die Unterschiede zwischen Trägermedien und digitalen Inhalten angeglichen werden. Die Absage an neue Regulierungsauflagen und die Absage an Netzsperren begrüßen wir ausdrücklich. Hervorzuheben ist die Wahrnehmung, dass den neuen Herausforderungen für den Jugendschutz im Internet begegnet werden soll. Diese Forderung deckt sich mit den Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft aus der vergangenen Legislaturperiode: „Wir verbessern den strafrechtlichen Schutz vor Beleidigungen in sozialen Netzwerken und Internetforen (Cybermobbing und Cybergrooming), da die Folgen für die vor einer nahezu unbegrenzten Öffentlichkeit diffamierten Opfer besonders gravierend sind. Cybermobbing und Cybergrooming in sozialen Netzwerken müssen einfacher gemeldet und angezeigt werden können.“ (S. 147)
10. Medienkompetenz als elementare Schlüsselkompetenz für den selbstbestimmten Umgang mit Medien und das Leitbild der „digitalen Selbständigkeit“ ist im Koalitionsvertrag als Grundlage für eine digitale Gesellschaft verankert. Diese Aussagen begrüßen wir ausdrücklich, denn für das cnetz steht die Befähigung der Menschen zum Umgang mit der Freiheit, gerade in der digitalen Gesellschaft, im Vordergrund. Damit diese Befähigung der Kinder und Jugendlichen effektiv umgesetzt werden kann, müssen wir auch den Lehrerinnen und Lehrern Hilfestellungen geben: „[Wir] fördern […] Programme und Wettbewerbe in den MINT-Fächern und einen zeitgemäßen Informatikunterricht ab der Grundschule. Damit das Wissen entsprechend vermittelt werden kann, sind Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrerinnen und Lehrer zur Medienkompetenz dringend notwendig.“ (S. 30) Leider hat es die Forderung der Unterarbeitsgruppe Digitale Agenda nach einer Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit Endgeräten nicht in den endgültigen Entwurf geschafft. Diese Geräteausstattung muss aus Gründen der sozialen Gleichbehandlung mit der Einführung digitaler Lehrmittel und einer verbesserten Lehrerbildung zu Medien einhergehen.
11. Wir setzen uns beim Thema Netzneutralität für klare Rahmenbedingungen ein, die den Erhalt von Netzneutralität, Offenheit, informationeller Selbstbestimmung sowie die dauerhafte Verfügbarkeit von Inhalten gewährleisten. Dies darf nicht zulasten wirtschaftlicher Innovationen gehen. Der Koalitionsvertrag formuliert jetzt Netzneutralität als Regulierungsziel und ermöglicht Maßnahmen zum Netzwerkmanagement dort, wo es technisch geboten ist, damit bandbreitensensible Daten und Anwendungen verlässlich und ohne Verzögerung übertragen werden bzw. zum Einsatz kommen können. Wir bewerten den gefundenen Kompromiss als eine zukunftsoffene Lösung, die auch auf europäischer Ebene in die Verhandlungen eingebracht werden muss.
12. Die verbesserte Durchsetzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wird im Koalitionsvertrag bereits an konkreten Vorhaben deutlich. So sollen nicht-anonyme Profilbildungen an enge rechtliche Grenzen und die Einwilligung der Verbraucher geknüpft werden, Scoringverfahren in Unternehmen müssen der zuständigen Behörde angezeigt werden. Außerdem werden Förderungen für die Prinzipien des Privacy-by-Design und Privacy-by-Default und internationale Abkommen zum Schutz der Grundrechte im digitalen Zeitalter angekündigt.
13. Die internationalen Regulierungsbemühungen um die Internet-Governance können große Auswirkungen auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Nutzung des Internets in Deutschland haben. Diese Bedeutung muss auch auf nationaler Ebene wahrgenommen werden. Wir begrüßen es, dass diese Forderung von cnetz und CSUnet im Koalitionsvertrag aufgenommen wurde und eine stärkere Beteiligung Deutschlands auf internationaler Ebene in Aussicht gestellt wird.